Reflexion, Interview

Interview mit Alexander Schnell im Vorfeld der Frühlingsschule der DGPF 2019, 1.-3.4.2019, Wuppertal

Selin Gerlek

19th March 2019

Prof. Dr. Alexander Schnell richtet in diesem Jahr die Frühlingsschule der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung (DGPF) unter dem Titel Phänomenologie und die Grenzen der Metaphysik: Zeitlichkeit, Differenz, Ontologie aus. Selin Gerlek aus dem et al. Team hatte Gelegenheit, bereits im Vorfeld ein ausführliches Gespräch über die Frühlingsschule, den Phänomenologie-Standort Wuppertal sowie über seine Auffassung von Phänomenologie zu führen.

Zur Person: Alexander Schnell (geb. 1971 in Berlin) hat den Lehrstuhl für theoretische Philosophie und Phänomenologie an der Bergischen Universität Wuppertal inne. Er ist außerdem verantwortlicher Leiter des Instituts für Transzendentalphilosophie und Phänomenologie (ITP) sowie des Marc-Richir-Archivs. Seit 2016 ist er Präsident der Association pour la Promotion de la Phénoménologie und Herausgeber der Annales de Phénoménologie, der Mémoires des Annales de Phénoménologie und zusammen mit Marco Ivaldo der Fichte-Studien sowie der Fichte-Studien Supplementa.

SG: Die Deutsche Gesellschaft für phänomenologische Forschung (DGPF) hat in den vergangenen Jahren einige Neuerungen erlebt. In die Präsidentschaft von Christian Bermes fällt etwa die Stiftung eines Preises, der nunmehr bereits das dritte Mal infolge ausgeschrieben worden ist. Mit der Präsidentschaft von Thomas Bedorf wurde zudem eine weitere Tradition gestiftet: die der phänomenologischen Frühlingsschulen. Diese sollen im jährlichen Turnus an verschiedenen Standorten ausgerichtet werden. Dabei steht es dem Veranstalter oder der Veranstalterin frei, das Thema jeweils in den Kontext der eigenen Forschungen zu setzen. Die zweite Frühlingsschule wird nun von Dir und dem Institut für Transzendentalphilosophie und Phänomenologie (ITP) ausgerichtet und widmet sich vor allem der Frage nach den Grenzen der Metaphysik. Seit Deiner Lehrstuhlübernahme 2016 und besonders seit der Leitung des ITP scheint die Frage nach dem Verhältnis von Phänomenologie und Metaphysik wieder sichtbarer geworden zu sein. Und zusammengenommen etwa mit László Tengelyis 2014 erschienener Monographie Welt und Unendlichkeit: Zum Problem phänomenologischer Metaphysik scheint der Standort Wuppertal sich diesem Problemfeld in hohem Maße verschrieben zu haben. Aber auch über Wuppertal (und die Phänomenologie) hinaus werden etwa in Bonn oder Heidelberg neue Versuche metaphysischen Denkens angestoßen. Es scheint sich also nicht um ein standortspezifisches Interesse zu handeln, sondern die phänomenologischen Forschung allgemein umzutreiben. Wie schätzt Du diesen Diskurs ein? Wieso scheint diese Frage gerade heute wieder so zentral zu werden?

AS: Zunächst wäre zu sagen, dass in jeder Überlegung, die den Zusammenhang von („der“) Phänomenologie und („der“) Metaphysik betrifft, der je eigene Zugang zu der einen sowie zu der anderen natürlich in bedeutendem Maße auf diese Beurteilung zurückstrahlt. Man kann durchaus den Standpunkt vertreten, dass die Phänomenologie sich ursprünglich in gewisser Weise gegen die Metaphysik konstituiert hat – und namhafte spätere Vertreter der phänomenologischen Bewegung (etwa aus der Waldenfels-Schule) haben dann ja auch die systematische Bezugnahme zwischen beiden mehr oder weniger kategorisch abgelehnt bzw. tun das bis heute. Ich für meinen Teil würde es aber in der Tat so sehen, dass seit ca. zwei Jahrzehnten – ob nun als Gegenbewegung zu bis dahin vorherrschenden Diskursen oder schlicht von der Sache her – ein erneutes allgemeines Interesse an grundlegenden metaphysischen Fragestellungen, das ja nicht von der Hand zu weisen ist, auch in der Phänomenologie (wieder) Eingang gefunden hat. Das „wieder“ erklärt sich sicherlich dadurch, dass natürlich im Lauf des gesamten 20. Jahrhunderts metaphysische Fragestellungen bereits für zahlreiche Phänomenologen grundlegend von Interesse gewesen sind. Woran dieses Neuinteresse liegt, darüber kann man vom heutigen Standpunkt aus lediglich spekulieren – hier sollte man sich womöglich mehr Zeit geben, um ausmachen zu können, ob das eine rein philosophieimmanente Frage ist oder ob diese nicht eher in einem breiteren Rahmen beantwortet werden müsste.

Das Neue und Interessante daran ist jedenfalls, dass jener Befund sich nicht auf die Aufweisung metaphysischer Aspekte bei diesem oder jenem phänomenologischen Autor beschränkt, sondern nun auf eine genuin phänomenologische Weise Metaphysik betrieben wird. Und dabei ist es völlig richtig, dass dies wohl seit eben diesen zwei Jahrzehnten zu so etwas wie einem Markenzeichen der „Wuppertaler Phänomenologie“ geworden zu sein scheint. Das hängt freilich auch damit zusammen, dass seit dem Ruf László Tengelyis nach Wuppertal (2001) die enge Verbindung zwischen Deutscher und Französischer Phänomenologie hier zu einem wichtigen Forschungsthema geworden ist und Phänomenologen wie Emmanuel Levinas, Marc Richir, Jean-Luc Marion oder auch Michel Henry der metaphysischen Denkweise offener gegenüberstanden (und stehen), als das vielleicht diesseits des Rheins der Fall (gewesen) sein mag.

Wie ich mich selbst hierzu positioniere, hängt nun eben davon ab, was ich unter der „genuin phänomenologischen Weise, Metaphysik zu betreiben“, verstehe. Im Mittelpunkt einer solchen Beschäftigung steht die Tatsache, erkenntnistheoretisch und ontologisch relevante Phänomene zu eigenen Phänomenen der Phänomenologie zu machen. Man kann mit Begriffen wie der „Erkenntnislegitimation“, der „Reflexion“, aber auch der „Korrelation“, des „Sinns“ usw. nicht rein operativ verfahren, sondern ihr eigener Sinngehalt muss phänomenologisch aufgeklärt werden – was, wie gezeigt werden kann, die Grenzen der rein beschreibend verfahrenden Phänomenologie überschreitet. Wenn man Phänomenologie dagegen gerade auf eine rein deskriptive Disziplin einschränkt, werden viele metaphysische Vorurteile ins Spiel gebracht, deren Behandlung dazu führt, die Phänomenologie selbst in Frage zu stellen. Dem kann die Phänomenologie nur dadurch entkommen, dass sie eben metaphysische Probleme in sich aufnimmt und deren etwaige Lösung selbst zu ihrem eigenen Bestand macht.

SG: Eugen Fink hat 1951 in ähnlicher Weise argumentiert, als er konstatierte, dass auch Husserl bei einer rein deskriptiven Phänomenologie nicht hätte stehenbleiben können und es früher oder später zu einer ‚spekulativen Wende’ in Husserls Denken hat kommen müssen. Grund hierfür ist, wie Du selbst auch sagst, dass die „Phänomenalität der Phänomene“ nie selbst phänomenale Gegebenheit ist; diese ist „immer und notwendig Thema spekulativer Bestimmung“ (Fink 2004 [1951], 148). Metaphysik und spekulatives Denken werden hier eng zusammengerückt, wenngleich Fink an dieser Stelle deren genaues Verhältnis nicht weiter ausführt. – Und dies reicht auch womöglich bereits aus, um an höchstrezente Debatten um den „Neuen“ bzw. „Spekulativen Realismus“ erinnert zu werden. In Deinem neuesten Buch Was ist Phänomenologie? (2019) gehst Du auch auf diese Debatten ein und schlägst statt eines Realismus in „neuem“ oder „spekulativem“ Gewand einen „phänomenologischen spekulativen Idealismus“ (ebd., 139) vor. Für unsere Leser*innen aber auch die Teilnehmer*innen der Frühlingsschule wäre es sicher interessant zu erfahren, wie Du Dich hier genau positionierst: namentlich zu Fink einerseits, der zwar eine ‚spekulative Phänomenologie’ in dieser Sicht nicht weiter ausführt, aber sehr wohl auf etwas aufmerksam macht, was womöglich bei Dir unter dem Stichwort der „phänomenologischen Konstruktion“ auf etwas Ähnliches abzielt; und zu den „spekulativen Realisten“ andererseits, die ein Ende der Phänomenologie (Sparrow) prophezeien oder als Kernargument gegen die Phänomenologie etwa die Anzestralität (Meillasssoux) anführen.

AS: Die Antwort auf das „Argument der Anzestralität“, also der vermeintlichen Widerlegung des transzendentalphänomenologischen Idealismus (in Wirklichkeit widerlegt es lediglich das, was Fink einen „mundanen Idealismus“ nennt), und die Auffassung, der Phänomenalisierung sei eine spekulative Dimension zuzuschreiben, hängen miteinander zusammen. Grundlegend geht es hierbei um die Möglichkeit und die Berechtigung – um mit Richir zu reden –, die „Transzendentalität“ und die „rein phänomenale Dimension“ zusammenzudenken. Das wird etwa bei Fink oder Merleau-Ponty vollzogen, aber nicht explizit genug reflektiert. Eher unphänomenologisch ausgedrückt geht es um die Frage, ob Sinn sich auf konkrete Gedankengebilde reduziert und das lebendige Sein des Denkens lediglich ein Auswuchs oder Epiphänomen des biologischen Lebens ist.

Die transzendentalphänomenologische Auffassung der Phänomenalisierung macht damit ernst, dass das philosophische Denken extra-mundan ist, dass der Philosoph, wenn er ernsthaft denkt, tatsächlich die Welt „auf den Kopf stellt“. Darin mögen manche eine säkularisierte Fortführung religiösen Denkens (z. Bsp. des Christentums) sehen – es ändert nichts daran, dass dies nicht nur eine mögliche Antwort auf das Desiderat von Sinnhaftigkeit ist, sondern die ausweisbare Realität des konkreten Vollzugs des philosophischen Denkens selbst betrifft. Oder anders ausgedrückt: Es handelt sich dabei um die phänomenologische Übertragung und Reaktualisierung der metaphysischen Grundfrage Schellings – nämlich wie es dazu kommen kann, dass das Absolute sich individuiert – eine Frage, die sich dann auch Sartre bereits am Ende von L’être et le néant gestellt hatte.

In seiner VI. Cartesianischen Meditation kämpft Fink mit der Schwierigkeit, die Konsequenzen der Radikalisierung der transzendentalphänomenologischen Reduktion zu tragen, nämlich dass irgendwie ein „On“ aus dem „Meon“ nicht nur verständlich gemacht, sondern real „gebildet“ werden soll. Damit überschreitet er in Husserls Augen eine von Husserl selbst festgelegte Grenze. Meines Erachtens legt er aber den Finger auf einen sehr wichtigen Punkt: dass nämlich die radikale Auffassung der Phänomenalisierung einen Übergang nicht nur von der „natürlichen“ zur „phänomenologischen“ Einstellung zeitigt, sondern dass die entscheidende Vermittlung vielmehr innerhalb der phänomenologischen Sphäre statthat. Viel bedeutsamer und auch philosophisch anspruchsvoller ist in der Tat nicht der Übergang von transzendenter Objektivität zu erscheinender Immanenz, sondern jener von immanenter zu prä-immanenter Sphäre des Feldes transzendentaler Subjektivität. Und hier war die Phänomenologie bisher methodisch noch in Rückstand, hier war sie sich noch nicht der methodischen Werkzeuge bewusst geworden, die operativ bereits bei Husserl zur Anwendung kamen, aber, wie gesagt, nicht reflexiv expliziert wurden. Zu diesen Werkzeugen gehört nun in der Tat die phänomenologische Konstruktion, aber auch die „transzendentale Induktion“ und jede gelungene Ausweisung der selbstreflexiven Dimension der Sinnbildung. Hierdurch wird die „Spekulation“ nicht von außen an die Phänomenologie herangetragen, sondern erweist sich von innen her als die erforderliche Ausgestaltung dessen, was der transzendentalphänomenologische Ansatz von Anfang an impliziert.

Die phänomenologische Konstruktion kommt da ins Spiel, wo die anschauliche Evidenz nicht mehr den Ausschlag dafür zu geben vermag, in welche „Richtung“ sich phänomenologische „Fakta“ genetisieren lassen (als Paradebeispiel kann hierfür die Zeitphänomenologie herhalten). Sie trägt aber auch zur Verständlichmachung des Auftretens neuer, nicht antizipierbarer Sinnhaftigkeit bei. Die phänomenologische Konstruktion ist somit das methodologische Grundwerkzeug, jener selbstreflexiven Struktur der Sinnbildung habhaft zu werden. Man sieht also, dass dieser Ansatz deutlich über den von Fink hinausgeht, der ja die „konstruktive Phänomenologie“ als Gegenstück zur „regressiven Phänomenologie“ verstanden hatte und sie insbesondere für Gebürtlichkeit und Tod einzusetzen suchte. Über Sparrows Betrachtungen brauchen wir meiner Meinung nach nicht vertieft zu reden, da eine Phänomenologie, welche metaphysische Fragestellungen eben in sich aufnimmt und sich dadurch weiterentwickelt, die These des diagnostizierten Endes der Phänomenologie offenbar ad absurdum führt.

SG: Sieht man sich das Programm der Frühlingsschule an, bemerkt man rasch, dass hier zwei Phänomenologen dominieren: Husserl und Heidegger. Tatsächlich kommt Fink, aber kommen auch die französischen Phänomenolog*innen kaum vor. Dabei haben sich – wie Du richtig sagst – auch die Franzosen und hat natürlich – und womöglich besonders als Vermittler – Fink sich der metaphysischen Fragestellung nicht nur geöffnet, sondern diese als Hintergründigkeit der Phänomenologie wiederholt in den Vordergrund geholt. Du selbst hast nun zwei wichtige Forschungsinstitutionen in Wuppertal ins Leben gerufen (bzw. bist dabei, es zu tun): das Marc-Richir-Archiv und das gerade im Bestehen begriffene Eugen-Fink-Zentrum. Werden metaphysische Fragestellungen in diesen beiden Zusammenhängen im Mittelpunkt stehen? Wird die Frage nach einer „phänomenologischen Metaphysik“ in Zukunft französischer?

AS: Es ist in der Tat auffallend, dass die Beiträge zu Husserl und Heidegger im Programm der diesjährigen Frühlingsschule deutlich in der Mehrzahl sind. Ich würde daraus aber keine allgemeine Tendenz bezüglich der Verteilung der Forschungsinteressen ableiten, da zum Beispiel bei den Doktorand*innen in Wuppertal (und an anderen Orten, an denen die Phänomenologie stark vertreten ist) die Themenverteilung viel ausgeglichener ist und den späteren Phänomenologiegenerationen dabei mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit zukommt.

Dass sich die „Wuppertaler Schule“ der Phänomenologie metaphysischen Fragestellungen verschrieben hat, ist, wie ja bereits betont, mindestens seit fast zwei Jahrzehnten deutlich festzustellen (https://www.buw-output.de/archive/output-ausgabe-172017/die-phaenomenologie-eine-wuppertaler-schule/). An dieses Erbe knüpfe ich seit meiner Berufung ganz entschieden an – hiervon zeugt etwa die Doppeltagung „Phänomenologie und Metaphysik“, die ich zusammen mit Inga Römer Ende 2017 jeweils in Wuppertal und Grenoble László Tengelyi zu Ehren organisiert habe. Der bald bei Felix Meiner erscheinende Tagungsband macht dabei deutlich, auf welche Art und Weise die französischsprachige Phänomenologie ihrerseits an diese Problematik anknüpft: Es ist sicherlich so, dass das Denken Merleau-Pontys, Levinas’, Sartres, Henrys usw. noch immer das Potenzial enthält, neue Forschungsperspektiven hervorzubringen. Ich sehe aber – allein schon aufgrund meiner eigenen Vita – meine Aufgabe auch darin, die Brücke zur aktuellen phänomenologischen Forschung herzustellen. Und da gibt es viele interessante Namen: Renaud Barbaras, Dominique Pradelle, Claude Romano, Jocelyn Benoist, Bruce Bégout und Natalie Depraz gehören ja bereits zu den „Etablierten“ (wobei nur die ersten drei eine dezidiert metaphysische Ausrichtung haben); das Augenmerk sollte aber auch – und vielleicht insbesondere – auf die jüngeren Forscher*innen gelegt werden (Claudia Serban, neuerdings Inga Römer, die ja nun keine rein deutsche Phänomenologin mehr ist, Grégori Jean, Etienne Bimbenet, Camille Riquier, Florian Forestier, Stanislas Jullien sind in diesem Zusammenhang sicherlich die bedeutendsten). Die verschiedenen Ausrichtungen sind dabei wirklich weitgefächert und reichen von diversen Neueröffnungen von bisher kaum oder gar nicht behandelten Forschungsperspektiven (in Bezug etwa auf Descartes, die Naturwissenschaften oder die Anthropologie) bis hin zu eigenen Neuansätzen und Neufundierungen der Phänomenologie, die immer auch die Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie miteinbeziehen. Die Anknüpfung an Tengelyis „methodologischen (bzw. metontologischen) Transzendentalismus“ und an die daraus hervorgehende „diakritische Phänomenologie“ sowie an Richirs Phänomenologie der „Sinnbildung“ sind dabei ebenso präsent wie die Auseinandersetzung mit dem „neuen Realismus“ und dem Ansatz Marions. Auch der „phänomenologische“ Derrida wird nun endlich entdeckt und entsprechend gewürdigt.

Ein letztes Wort vielleicht dazu, wie ich persönlich die mögliche Anknüpfung an die neuere französische Phänomenologie einschätze – um also auf die Frage, ob die phänomenologische Metaphysik „französischer“ werde, zu antworten zu versuchen. Bis dato scheinen dort folgende Ansätze vorherrschend zu sein: U. A. der von Quentin Meillassoux angestoßene „spekulative“ Realismus hat innerhalb der französischen Phänomenologie verschiedene Ansätze eines (phänomenologischen) Realismus gezeitigt – siehe insbesondere J. Benoist und C. Romano. Dem stehen die Versuche, einen phänomenologischen Begriff der „Transzendenz“ zu fassen (die dabei – ob das nun zu Recht behauptet wird oder nicht – in die Nähe einer „theologischen Wende“ innerhalb der französischen Phänomenologie zu geraten scheinen), entgegen – siehe Marion, Henry und in jüngerer Zeit Riquier, Jean usw. Eine dritte starke Position knüpft an Richir an und verschreibt sich einer transzendentalphilosophischen „Neugründung“ der Phänomenologie. Tengelyi hat versucht, Richirs und Marions Ansatz miteinander zu vermitteln – wobei systematisch die Anlehnung an Richir stärker ist als die an Marion. Er hat das am Ende vielleicht selbst nicht mehr so ausdrücklich empfunden, aber mit etwas Abstand lässt sich diese Diagnose meines Erachtens doch eindeutig rechtfertigen. Es ist somit gewissermaßen seiner eigenen Unwissenheit geschuldet, wenn Meillassoux die Phänomenolog*innen dazu aufruft, ihren „spekulativen Idealismus“ endlich darzulegen und zu rechtfertigen. Dieser Prozess ist schon längst im Gange. Genau hierin sieht die heutige „Wuppertaler Schule“ der Phänomenologie das Erbe, das sie zu übernehmen hat und ihrerseits weiterführen muss.

Unsere Aufgabe in Wuppertal soll es somit sein, dies alles noch bekannter zu machen und zu vertiefen; dabei soll dann eben auch die Brücke zu jener jüngeren französischen Forschergemeinschaft hergestellt werden, um dazu beizutragen, die phänomenologische Forschung nicht nur am Leben zu erhalten, sondern sie weiterzuentwickeln und ihr vielleicht auch noch neue Horizonte zu eröffnen. Die nun bald stattfindende Nachwuchstagung der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung liefert einen interessanten Rahmen, um genau das in Angriff zu nehmen.


Wir danken Alexander Schnell für das Interview. Das Interview führte Selin Gerlek.

Weitere Informationen zur Phänomenologie am Standort Wuppertal und im Besonderen zu Alexander Schnell finden sich hier und hier.

Der Programm zur Frühlingsschule kann zudem hier aufgerufen werden.