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221671

(1999) Struktur und Ereignis in theorievergleichender Perspektive, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Varianten der Strukturanalyse

Thomas Schwinn

pp. 317-324

Rainer Greshoff (1998) beklagt mit Bezug auf mehrere gleichgesinnte Autoren das unabgeklärte Nebeneinander, ja sogar den Wirrwarr und die Anarchie von Theorien in den Sozialwissenschaften. Der Theorienvergleich soll hier Abhilfe schaffen. Eine theorievergleichende Strategie hat Talcott Parsons in The Structure of Social Action entwickelt. In einer Verbindung aus theoriegeschichtlicher Rekonstruktion und theoriesystematischem Begriffsrahmen entwickelt er seine Konvergenzthese: die wichtigsten soziologischen Theorien und Traditionen sind auf einem höheren theoretischen Niveau synthetisierbar. Diese These ist bezweifelt worden (vgl. Schwinn 1993) sowohl was die selektive Auswahl der von Parsons behandelten Theorien betrifft (Camic 1989: 59f.) als auch seine bisweilen eigenwillige Lektüre der vier soziologischen Klassiker selbst (Cohen/Hazelrigg/Pope 1975; Pope/ Cohen/ Hazelrigg 1975). In modifizierter Form mit z.T. anderen Klassikern und einer anderen Theoriesystematik und dadurch mit anderen Ergebnissen als Parsons hat Jürgen Habermas diese Konvergenzanstrengungen in der Theorie des kommunikativen Handelns fortgesetzt. Einen anderen Weg, allerdings mit gleichem Ziel, schlug Niklas Luhmann ein: die theoriegeschichtliche Rekonstruktion des eigenen Fachs wird als irrelevant gestrichen und durch Anschluß an fachfremde Theorieentwicklungen eine dissziplinübergreifende "Supertheorie" für die Sozialwissenschaften zu entwickeln versucht. Diese Konvergenz- und Integrationsbestrebungen haben sich als nicht sonderlich erfolgreich erwiesen. Parsons' Theorieanspruch hat als Gegenreaktion eine ganze Flut von andersartigen Theorieentwürfen stimuliert, insbesondere mehrere Spielarten der Mikrosoziologie wie Ethnomethodologie und symbolischer Interaktionismus, aber auch konflikttheoretische Gegenentwürfe. Bis in Anthony Giddens' Arbeiten hinein ist diese Absetzbewegung von Parsons feststellbar. Gleiches läßt sich für Luhmann sagen: in dem Maße wie er fachuniversale Theorieansprüche erhebt, floriert zugleich das Geschäft von handlungstheoretischen und systemkritischen Ansätzen. Der historische Rückblick auf das eigene Fach erweist die Divergenzthese als plausibler gegenüber der Konvergenzthese.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-663-11556-4_14

Full citation:

Schwinn, T. (1999)., Varianten der Strukturanalyse, in R. Greshoff & G. Kneer (Hrsg.), Struktur und Ereignis in theorievergleichender Perspektive, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 317-324.

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