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216321

(2017) Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Dordrecht, Springer.

Ätiopathogenetische Konzepte und Krankheitsmodelle in der Psychiatrie

Wolfgang Gaebel, Jürgen Zielasek

pp. 95-121

Psychische Krankheit ist kein Mythos, sondern – jenseits kultureller, politischer und weltanschaulicher Perspektiven – nachweisliche Realität. Diese Aussage beruht auf der klinischen Alltagserfahrung, dass psychische Krankheit in ihren Auswirkungen auf die betroffene Person beobachtet werden kann und daher nicht nur eine durch konstruktivistische Grundannahmen herbeigeführte Scheinrealität darstellt (Diskussion hierzu bei Philips et al. 2012). In ihrem Übergangsbereich sind psychische Krankheit und Gesundheit nicht scharf abgrenzbar, definitorisch sind sie aufeinander bezogen. Psychische Krankheit wird in ihren Erscheinungs- und Verlaufsformen, ihren Ursachen und Bedingungen mehrdimensional konzipiert. Pathobiologische, psychologische und soziale Aspekte sind komplementär, objektive Indikatoren allerdings teilweise noch unzureichend entwickelt. Eindimensionale oder monokausale Theoriebildung ist überholt; in der Forschung ist zwecks Hypothesenprüfung oft ein reduktionistischer Ansatz, in der klinischen Praxis jedoch durchgehend eine integrative Sichtweise erforderlich. Grundsätzlich ist eine funktionale, auf normale Funktionsweisen und ihre Störungen ausgerichtete Betrachtungsweise anzustreben, die deskriptive Operationalisierungen moderner Klassifikationssysteme ergänzt und rein nosologische Konzeptionen kontrastiert. Valide, empirisch geprüfte oder prüfbare ätiopathogenetische Rahmenkonzepte und Krankheitsmodelle sind die Voraussetzung zur Entwicklung und Anwendung rationaler Therapie. Als allgemeines Modell zur integrativen Konzeptualisierung von Ätiopathogenese, Disposition, auslösenden, aufrechterhaltenden und chronifizierenden sowie protektiven und therapeutischen Faktoren für Krankheitsmanifestation und Verlauf kann das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell gelten. Es besitzt heuristischen Wert für die individuelle Psychoedukation und Therapieplanung, wie für die Ursachen-/Bedingungs- und Therapieforschung. Psychiatrische Forschung ist – in einem klar bestimmten begrifflichen Feld und unter Berücksichtigung strategischer wie methodischer Erfordernisse – multidisziplinär orientiert. Dies rückt die Psychiatrie – im Kontext eines naturwissenschaftlich orientierten Weltbildes – näher an Psychologie, Sozialwissenschaften und Medizin; letzteres ist auch ein Beitrag zur immer noch unvollständigen sozialen Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-662-49295-6_3

Full citation:

Gaebel, W. , Zielasek, J. (2017)., Ätiopathogenetische Konzepte und Krankheitsmodelle in der Psychiatrie, in H. Möller, G. Laux & H. Kapfhammer (Hrsg.), Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Dordrecht, Springer, pp. 95-121.

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