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198923

Biologisches Denken

Konrad Lorenz

pp. 13-30

Abstrakt

Die Physik sucht nach den allgemeinsten Gesetzen, von denen alle Materie und alle Energie beherrscht werden. Die Biologie versucht, lebende Systeme, so wie sie vorgefunden werden, zu verstehen. Seit Galilei verfährt die Physik nach der Methode der generalisierenden Reduktion. Der Physiker betrachtet das individuelle System, das er im Augenblick untersucht — etwa ein Planetensystem, ein Pendel oder einen fallenden Stein — stets als einen speziellen Fall einer übergeordneten Klasse von Systemen — in den genannten Fällen als eines, das aus Masse in einem Gravitationsfeld besteht. Er findet nun Gesetzlichkeiten, die in einem der speziellen Systeme obwalten, wie die Keplerschen Gesetze und die Pendelgesetze, und bemüht sich, diese auf die allgemeineren Gesetze der übergeordneten Klasse von Systemen, in unserem Beispiel auf die Newtonschen Gesetze, zurückzuführen. Zu diesem Behufe muß er natürlich die Struktur der speziellen Systeme untersuchen, er muß die Mechanik des Pendels, die Achse, die Länge des Pendelarmes, das Gewicht des Pendels, usw. in seine Betrachtung einbeziehen. Die Kenntnis von Strukturen und Funktionen der speziellen Systeme ist für den Physiker aber nur Mittel, nur Zwischenziel auf dem Wege zur Abstraktion allgemeinerer Gesetze. Sowie diese gewonnen ist, sind für ihn die Eigenschaften des speziellen Systems völlig uninteressant geworden.

Publication details

Published in:

Lorenz Konrad (1978) Vergleichende Verhaltensforschung: Grundlagen der Ethologie. Dordrecht, Springer.

Seiten: 13-30

DOI: 10.1007/978-3-7091-3097-1_2

Referenz:

Lorenz Konrad (1978) Biologisches Denken, In: Vergleichende Verhaltensforschung, Dordrecht, Springer, 13–30.